Donnerstag, 18. Oktober 2012

Müttermafia und "Was isses denn" - mal anders betrachtet

Ich habe mich in meiner länglichen Kinderwunschzeit lange in einem Kinderwunschforum einer bekannten deutschen Frauenzeitschrift :-)) herumgetrieben, in der Babyzeit dann entsprechend im Babyforum. Davon abgesehen, dass ich dort einige unglaublich tolle Frauen kennen und lieben gelernt habe, habe ich eben auch oft "quer" gelesen. Das gleiche gilt für Mamablogs, die ich gerne mal "anlese". Ich bleibe- logisch-  nur denen treu, die mir irgendwie besonders zusagen, sei es wegen des Schreibstils oder der Themen (weil etwa die Kinder ein ähnliches Alter haben wie meine). Oder halt so. Wegen allgemeiner Sympathie.

Oft, sehr oft, berichten die Mamas über unliebsame Erlebnisse im schwangeren Zustand oder mit Baby. Da werden ungefragt schwangere Bäuche betatscht - oder auch kleine Säuglinge. Da wird im Pekipkurs mit Häme reagiert, wenn das Baby nach ein paar Wochen durchschläft, oder man wird spontan mit dem "Jedes Kind kann Schlafenlernen" Programm missioniert, wenn es nach ein paar Wochen noch nicht durchschläft. "Wie, Du willst schon wieder arbeiten? Das könnte ich ja nicht!" wird der Mama, die nach einem Jahr das Kind in der Krippe eingewöhnt, an den Kopf geschmissen. "Wie, Du willst drei Jahre zu Hause bleiben? Das könnte ich ja nicht!" der Nächsten. Und so weiter und so fort. Die Liste ist endlos.

Ich habe mich immer schon über diese Aufreger gewundert. Aktuell wieder. Ich habe lange, lange darüber nachgedacht, ob und in welcher Form mir so etwas je passiert ist. Nein, Hand auf´s Herz, ich habe keine Müttermafiaerfahrung. Ich bin fast ein bisschen traurig darüber, denn was lassen sich daraus für schöne Geschichten spinnen.

Ich habe sicher viel Glück gehabt, dass in meinem Pekipkurs mit L. eine sehr homogene Gruppe aufeinander getroffen ist. Nicht umsonst treffen wir uns nach 4 einhalb Jahren immer noch mit und ohne Kinder. Aber ich habe ja nicht nur "gepekipt", sondern auch Rückbildung, Babymassage, Babyschwimmen, Babyturnen, Musikmäuse - und das gesamte Programm noch mal mit R. - betrieben, bin also auf die verschiedensten Mamas gestoßen. Da hätte doch eigentlich die Mafia mal vertreten sein müssen, so rein statistisch gesehen?

Aus dem Deutsch-LK ist mir noch dunkel das Sender-Empfänger Modell in Erinnerung. Das besagt (oh weh, hier begebe ich mich auf sehr dünnes Eis, sorry an den mitlesenden Deutschlehrer), dass in der Sprache neben dem, was ausgesendet wird, eben auch wesentlich ist, wie dieses Ausgesendete aufgenommen, empfangen wird. Stimmt natürlich, nicht nur beim geschriebenen, sondern auch beim gesprochenen Wort kommt es darauf an, wie ich es verstehe, was ich mit hineininterpretiere. Meine momentane Stimmung fließt wahrscheinlich genau so mit hinein wie meine Meinung zum besprochenen Thema, meine Erziehung und Weltanschauung. Und da könnte es natürlich auch sein, dass es manchmal am Empfänger liegt, wenn dieser sich über etwas, was zu ihm gesagt wird, wahnsinnig echauffiert. Gerade mit dem ersten Baby ist man ja doch in vielen Situationen unsicher, da könnte man einen eigentlich gut gemeinten Ratschlag oder auch nur einen neutralen Bericht vielleicht auch mal fälschlich als Affront verstehen.

Beispiel. Ich erinnere mich an ein Gespräch mit einer Mutter, die ich aus einem der diversen Kurse kannte, und die der Meinung war, Babies gehörten nicht in den Kinderwagen, sondern gehörten getragen. Immer. Als sie mir ihre Meinung zum Thema referierte, hätte ich mich auch gedrängt fühlen können. Ich habe mich aber gar nicht angesprochen gefühlt, weil ich genau wusste, dass MEIN Kind seinen Kinderwagen liebte und weder Tragetuch noch sonstige Tragevorrichtungen leiden konnte. Obwohl diese Mama lange darüber sprach, dass Kinder sich ganz schrecklich und alleine fühlen, wenn sie im Kinderwagen durch die Stadt und womöglich an einer lauten Baustelle vorbei gefahren werden (und wir just an einer solchen gerade vorbei gingen), war ich ziemlich selbstbewusst mit meinem Kinderwagen und habe mich von ihren Ausführungen zur kindlichen Psyche nicht verunsichern lassen. Aber: sie wollte mich wahrscheinlich auch gar nicht verunsichern. Sie wollte mir wahrscheinlich einfach nur ihren Standpunkt erläutern. Vielleicht war sie gar in Erklärungsnot, weil ich ihr -vielleicht - vermittelt habe, dass ich ihr ausschließliches Tragen eigenartig empfinde. (Rückenunfreundlich, vor allem.) Huch, jetzt fällt es mir erstmal auf: bin ICH vielleicht Mitglied bei der Müttermafia???

Anderes Beispiel. Sehr oft lese ich, dass mit wahlweise Kopfschütteln oder ziemlichem Genervtsein davon berichtet wird, dass (gerne ältere) Menschen auf das Baby sehr freundlich reagieren, um sich dann zur Mama umzudrehen und zu fragen. "Junge oder Mädchen?" "Mann. Das Kind hatte nur blaue Klamotten an", kommt dann als nächstes. Eine solche Situation hatte ich auch schon häufiger. Als ich mit Mini-R. einmal im Kaufhausfahrstuhl stand, kam ebenfalls ein älteres Ehepaar in den Fahrstuhl und freute sich über das knuffige Baby. Die obligatorische Frage nach dem Geschlecht hat mich auch erstmal grinsen lassen, denn ich hatte meiner Vorliebe für rosa und rot an dem Tag in meiner Freude über das brandneue Mädchenkind hemmungslos nachgegeben und war der Meinung "das sieht man doch." Der Herr bekam auch sofort Rüffel von seiner Frau, die genau das gleiche zu ihm sagte, die Kleine ist doch ganz in rosa, das sieht man doch. "Stimmt", meinte der Herr, "aber ehrlich gesagt, das heißt doch heutzutage gar nichts mehr." Beim genaueren Nachdenken musste ich ihm recht geben. Hätte er gesagt" Och, was für ein niedliches Mädchen, wie heißt es denn?" hätte es ihm passieren können, dass er die Frage von einer gekränkten Mutter um die Ohren gehauen bekommen hätte "Karl-Friedrich. Jungs tragen auch rosa. Warum auch nicht?" Ja, warum auch nicht? Wenn man sich mal in die Rolle des Senders hineinversetzt, wollte der einfach nur nichts falsch machen, nicht anecken. Davon abgesehen versuchen ältere Menschen einfach oft, irgendwie ins Gespräch zu kommen, und denken nicht groß darüber nach, ob sie mit der Frage nach dem Geschlecht die junge Mutter ärgern. Sie schauen wahrscheinlich nur in das niedliche, ziemlich geschlechtsneutrale Babygesicht und ehrlich, selbst mir als halbwegs junger Frau mit gesunden Augen ist es schon zwei mal passiert, dass ich beim Geschlecht falsch lag, da fragt man vielleicht doch besser mal nach.

Worauf ich hinaus will? Wenn man sich als Mutter STÄNDIG angegriffen fühlt, liegt es wahrscheinlich nicht an einer besonders hohen Mafia- oder Idiotendichte im Umkreis, sondern zu einem guten Teil an einem selbst. Daran, dass man verunsichert ist und sich Dinge zu Herzen nimmt, die wahrscheinlich gar nicht als Affront gemeint waren. Dann hilft es manchmal schon, sich einfach in die andere Person hineinzuversetzen - die vielleicht in der gleichen, nämlich einer recht unsicheren, Situation ist und ggf nur deshalb über das Ziel hinausschießt. Und bevor ich mich wahnsinnig aufrege, von Leuten genervt bin und über dieses Genervtsein sinnlos Energie verpuffe, lohnt es sich vielleicht, bei der Person, die einen so ärgert, einmal konkret nachzufragen: "Wie meinst Du das denn?" Zu guter Letzt: ja, auch unter Müttern gibt es "Unsympathieträger", wieso auch nicht? Wahrscheinlich waren die aber auch schon unsympathische Weltverbesserer, bevor sie Mutter wurden. Und solche gilt es dann eben einfach zu meiden und sich mit Menschen zu umgeben, die einem besser tun.

Ist jetzt alles klar?
Eure Dr. psych. RALV

10 Kommentare:

  1. Sehr gut auf den Punkt gebracht. Gilt auch allgemein im Leben, nicht nur im Mütter-Kontext ;-)

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  2. Der mitlesende Deutschlehrer meint: Du hast das Sender- und Empfängermodell und damit auch das Kommunikationsmodell von Schulz von Thun gut wiedergegeben und angewendet. Keine Beanstandungen meinerseits... ;-) Würde mir das doch häufiger passieren, wenn ich in Klassen 2,3 Tage oder (Himmel-hilf!) 2 Wochen später darauf zurückgreifen will..."Hä, wer? Watt? Nee, hamma nich gemacht."-"Ach, dat mussten wir aufschreiben?"-"Wie jetzt? Behalten? Wieso? Brauch ich dat für Harz4 sein?" Okay, letzteres war böse...

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  3. Schön geschrieben und auf den Punkt gebracht, wenn ich auch an der einen oder anderen Stelle die Stirn etwas runzelte.

    Es gibt Dinge die gehen einfach gar nicht, das sind solche Sachen wie auf den Schwangerenbauch oder in den Kinderwagen tatschen, ebenso wenig wie es geht anderen Leuten seine Meinung bezüglich des früheren oder späteren Kindergartenbesuchs, des schlafens oder sonst was aufzudrängen.
    Hier sei vorrangig gesagt: "Jedes Kind ist anders und kein Mensch kennt das Kind besser als die eigene Mutter" (sollte mindestens so sein).

    Auch ich bin kaum auf Supermütter getroffen, die mir mein Kind erklären wollten und den wenigen die das meinten tun zu müssen habe ich entsprechend geantwortet.

    Deiner Mutter wiederum hätte ich eine Ansage gemacht, denn ich würde das durchaus als "Kritik" meines Umgangs mit dem Kind verstehen.
    Meiner Mutter habe ich in so einer Situation mal geantwortet: "Du hast mich so groß gezogen wie du es für richtig hieltest, jetzt beschwere dich nicht, wenn ich es mit meinem Kind genau so mache."

    Egal.

    Ich wollte eigentlich noch eine kleine Anekdote im Bezug auf ältere Menschen und dem Geschlecht des Kindes erzählen:

    Die Süße, damals 1 1/2 Jahre alt, war in rot und blau gekleidet. Wir saßen im Zug und ein älterer Herr fragte mich: "Wie alt ist denn der junge Mann?"

    Ich (freundlich): "Der junge Mann ist eine junge Dame und 1 1/2."

    Älterer Herr: "Aha, und wie heißt der junge Mann?"

    Ich (immernoch freundlich): "Die junge Dame heißt, Süße." (so heißt sie natürlich nicht, aber ihr wisst schon was ich meine. Sie hat einen etwas außergewöhnlichen, eher im französischen Sprachraum gebräuchlichen, Namen... nein, nein! Nicht Jaqueline und auch nicht Chantalle... mit dem insbes. ältere Herrschaften nicht immer so gut zureckt kommen.)

    Der ältere Herr: "Das ist aber ein komischer Name für einen Jungen."

    Ich(etwas pikiert): "Das liegt daran, dass der Junge ein Mädchen ist."

    Der Herr: "Ein Mädchen? Und warum ist es dann angezogen wie ein Junge?"

    Ich (etwas mehr pikiert): "Weil auch Mädchen blau und rot tragen dürfen. Rosa ist mir gerade ausgegangen."
    ...
    Ich war froh, als der weiter ging;-)

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    1. Hallo Crooky, Stirnrunzeln ist natürlich ok, muss ja nicht jeder uneingeschränkt richtig finden, was ich so schreibe. Richtig, auf die Tatscher bin ich nicht mehr eingegangen und ja, es gebietet schlicht die Höflichkeit, anderer Menschen Grenzen zu akzeptieren, auch und gerade die Grenzen von kleinen Menschen. Diese Grenzen sind natürlich fließend, gerade deshalb sollte man aber besonders vorsichtig sein.

      Irgendwas hast Du falsch verstanden, von MEINER Mama war hier nirgendwo die Rede. ???

      Und bei den älteren Herrschaften - ich wollte einfach um ein bisschen mehr Humor im Umgang werben. Wir werden ja schließlich alle mal alt....

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  4. Jetzt muss ich doch mal loswerden, dass Dein Blog für mich wirklich eine top Entdeckung ist.

    Viele liebe Grüße sendet
    Steffi

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  5. Danke, mal wieder auf den Punkt getroffen!

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