Donnerstag, 28. Februar 2013

Schulgedöns Part V

Gestern war nun die Schuleingangsuntersuchung bei Frau Amtsärztin. Ich bin kampfesmutig hineingegangen, denn ich hatte schon Diverses über die Dame gehört -  Sympathieträgerin scheint sie nicht zu sein. Mit dem Kind ist sie erst einmal sehr nett umgegangen, L. machte alle kleinen Aufgaben mit, und zwar insgesamt, wie mir schien, zufriedenstellend und altersgemäß. Beim Gespräch war er wie gewohnt schüchtern, der "Sporttest" und das Abmalen von geometrischen Figuren klappten nicht besonders (die altbekannten Problemchen bei Grob- und Feinmotorik).

Im Anschluss wollte die Dame dann mit mir sprechen und die Beweggründe für den Rückstellungsantrag hören. Dabei zeigte sie sich erst einmal skeptisch. Sie wäre "irritiert", dass ich bereits so früh (im November) einen solchen Antrag gestellt hätte. Meine Nachfrage, ob es nicht im Sinne des Kindes besser wäre, das Thema früh anzugehen und nicht erst ein paar Monate vor Schulbeginn, beantwortete sie dann auch nur mit Achselzucken. Wir hätten jetzt ein Problem, meinte sie, denn "erhebliche medizinische Gründe" für eine Rückstellung, derer es eben bräuchte, sehe sie nicht. Darauf hatte ich ja nur gewartet, aber ich konnte meine Emotionen im Zaum halten und ihr sachlich die 4-5 Gründe nennen, warum es für dieses Kind besser wäre, noch ein Jahr Zeit zum Entwickeln zu bekommen. Nebenbei habe ich durchblitzen lassen, dass ich mich mit dem Gesetzestext durchaus beschäftigt habe und davon ausgehe, dass es immer einen Handlungsspielraum in der Entscheidung gibt, insbesondere deswegen, weil das Kind Ende September geboren ist und 10 Tage später geboren ohnehin ein "Kann-Kind" gewesen wäre. Auf ihre Nachfrage, was ich denn in dem einen Jahr zu tun gedenke und ob ich mal die Einschaltung eines Psychologen in Erwägung gezogen habe, war ich kurz fassungslos und habe das dann auch geäußert. Es gibt kein psychologisches Problem. Die Problemchen, die mein Sohn hat, hängen alle mit der Motorik zusammen. Sie werden sich vielleicht nicht alle einfach durch Zeitablauf auswachsen, zum Teil aber mit Sicherheit. An den Stellen, wo man arbeiten kann, tun wir das, und dafür braucht es Zeit, zB für eine Ergotherapie (die eben nicht nach ein paar Monaten Sensationserfolge bringt). Es gibt keinen Grund, Dinge überzudramatisieren, nur weil wir der Meinung sind, dass es für dieses Kind gut wäre, noch ein Jahr in Ruhe zu spielen. Aus irgend einem Grund habe ich scheinbar den richtigen Ton getroffen, sie wurde auf einmal superfreundlich und hat sich meiner Argumentation angeschlossen. Ganz eigenartig - als habe sie mich zuvor provozieren wollen.

In jedem Fall befürwortet sie den Rückstellungsantrag, womit die Entscheidung nun wieder beim Schultorektor liegt. Dieser will mich noch einmal einbestellen und nochmals mit mir unterhalten; da er aber schon beim Erstgespräch ziemlich meiner Meinung war, erwarte ich da jetzt keine Überraschung mehr. Ein bisschen erleichtert bin ich schon einmal, aber richtig freuen werde ich mich erst, wenn ich eine offizielle Entscheidung mit Unterschrift in den Händen halte. (Juristenkrankheit).

Mittwoch, 20. Februar 2013

Weil sie nicht war wie alle anderen

Es gäbe viel zu schreiben, so ist es nicht. Aber... mich hat, abgesehen davon, dass ich das Gefühl habe, seit Jahresbeginn nur mit kurzen Unterbrechungen im Kranken-Kinder-Pflegemodus zu laufen, eine eigenartige Stimmung gepackt, die mir unter anderem das Schreiben, aber auch manch anderes, schwer macht.

Ist es der Winterblues, der ungeliebte Februar, die noch nicht verarbeitete Trauer um meine Oma oder nun gar eine Midlife-Crisis? Vielleicht von allem ein bisschen.

Ich fühle mich müde, ein bisschen überfordert, irgendwie alt  - und ganz und gar nicht fröhlich. Eine für mich untypische Melancholie läuft dauernd mit mir mit.

Die Beisetzung meiner Oma lief dank sehr quirliger Kinder irgendwie ein bisschen an mir "vorbei". Immerhin ruht sie an einem hübschen, recht zentralen Platz, den ich bei Heimurlauben öfters mal aufsuchen kann. Aber reden kann ich nie mehr mit ihr, und das packt mich erst jetzt so richtig. Ich wünschte, ich hätte irgendwann einmal ein Filmchen mit meinem Iphone gemacht, als ich sie besucht habe. Ich höre ihre Stimme noch in meinem Ohr, aber werde ich sie irgendwann für immer verloren haben? Ich habe ein schlechtes Gewissen, dass ich ausgerechnet in ihrem letzten Lebensjahr am anderen Ende der Welt weilen musste. Die Trauer, die ich empfinde, ist natürlich auf eine Weise sehr gemäßigt, denn ich weiß wohl, dass hier ein Mensch sein Leben gelebt hat und dass es Zeit für sie war, zu gehen. Mir ist bewusst, dass es gut so für sie war. Und dass es etwas ganz anderes ist, wenn Menschen krank sind, unendlich leiden müssen, viel zu früh gehen müssen. Es ist eine rein egoistisches Gefühl, sie ist weg, nicht mehr für mich da, sie nimmt ein Stück von mir und meiner Kindheit mit. Es gibt einen Menschen weniger, der mich ohne Bedingung und ohne, dass ich etwas dafür tun muss, einfach nur so, weil es mich gibt, liebt. Trotzdem habe ich das Gefühl, ist diese Trauer fast zu viel für mich. Das stimmt vielleicht nicht ganz. Es ist schwer zu beschreiben. Ich finde nicht den rechten Platz dafür in meinem Leben. Ausklammern kann ich sie nicht, richtig zulassen kann ich sie auch nicht, also überfällt sie mich immer mal wieder hinterrücks.

Und dann überkommen mich so schwierige Fragen wie - Was bleibt von einem Leben? Wo gehen wir hin? Wie schafft man es, den Augenblick Wert zu schätzen?

Ich schau mir Fotos von meiner Oma an, blutjung im Brautkleid, mit unergründlichen Augen und einem ernsten Zug um den Mund. Als -ebenfalls sehr junge- Oma, auf jedem Foto lachend. In den letzten Jahren im Altenheim, ein bisschen bitter. Und vor meinem inneren Auge sehe ich sie in ihrem letzten Jahr. Immernoch ironisch und klug, aber wieder milder geworden. Zufriedener, fast heiter. Ich hoffe, so hat sie sich auch gefühlt. Sie hatte wenig gemein mit den "typischen" Damen ihrer Generation, die oft sehr bescheiden und ein bisschen verhuscht, aber auch sehr ladylike wirken. Sie war ein Temperamentsbündel, das dafür gesorgt hat, dass man sie bemerkte, wenn sie hereinkam. Wenn ihr etwas nicht passte, dann äußerte sie es. Sie konnte schwierig sein, aber wenn man sie zu nehmen wusste, der sonnigste Mensch der Welt. (Wenn ich das so lese, erinnert die Beschreibung mich ziemlich an mein Töchterchen....und das nennt man wohl: Der Kreis schließt sich!) Wenn ich an Oma denke, kommen mir immer diese Worte in den Sinn:

"Weil Du ein Herz hast wie ein Bahnhof,
aus dem ein Zug auf Reisen geht,
und meine Stimme sagt: fahr nicht los,
wenn Du für immer von mir gehst,
weil Du nicht bist wie alle anderen,
auch wenn Du ausgehst wie das Licht
und mit Dir tausend Sterne wandern,
weil es Dich gibt,
liebe ich Dich."

(Von hier).

Ich fühle mich, als wolle dieser Winter kein Ende nehmen.


Freitag, 1. Februar 2013

Liebe Tochter,

Irgend etwas geht gerade mit Dir vor. "Alles ist nur eine Phase", betet man sich in anstrengenden Zeiten mit den Kindern ja gerne vor, und auch ich mache das derzeit.

Ein Kleinkind bist Du nicht mehr so richtig, und ein "richtiges Kind" noch nicht so ganz. Ich staune oft,  wo die letzten Reste meines Babies abgeblieben sind, wenn Du anfängst, Dinge mit mir zu diskutieren, Dich nicht mehr von einem einmal gefassten Vorhaben ablenken lässt und einfach als -zwar kleine, aber im Wesentlichen "fertige" - Persönlichkeit mit eigenen Standpunkten vor mir sitzt. Wie soll ich Dir erklären, was es in mir auslöst, diesen Wachstumsschritt zu beobachten? Neulich saßen wir mit Deinem Bruder und Deinem Papa auf dem Teppich und spielten das allererste Mal alle zusammen ein Gesellschaftsspiel. Nein, die Regeln konntest Du natürlich noch nicht ganz durchblicken, aber mit Hilfe konntest Du Spielzüge ausführen und teilnehmen. Und da sah ich vor meinem inneren Auge uns vier schon um den Esstisch sitzen und Doppelkopf spielen. Nun ja, das wird noch dauern, aber ich bekam einen Moment lang  so eine flüchtige Ahnung, wie es demnächst sein wird bei uns, in einer Familie mit "großen" Kindern. Das war einerseits ein sehr schönes Gefühl, denn ich freue mich natürlich darauf, andererseits kam auch sofort die Wehmut in mir hoch, dass bald kein Baby und kein richtiges Kleinkind mehr da sein werden. Dass das Gebrauchtwerden ein ganz anderes sein wird. Und irgendwann auch immer weniger.

Widerstreitende Gefühle und Verwirrung toben in Dir noch viel mehr als in mir. Offensichtlich. Abwechselnd willst Du Baby sein und getragen werden - oder Mama sein und Dich um Deine Puppis kümmern. Du möchtest die Windel los werden und in Deinem "Große-Mädchen-Bett" schlafen. Du möchtest Dich verabreden wie Dein Bruder mit seinen Freunden. Am liebsten möchtest Du schon in die Schule gehen, denn in Deiner Schule "lernt man swimmen", hast Du mir letztens erklärt. All diese Große-Mädchen-Pläne locken Dich, und überfordern Dich dann doch wieder. Dein aufbrausendes Temperament bricht momentan permanent und bei den kleinsten Irritationen Bahn. Ich habe leider nicht immer die Nerven, "richtig" darauf zu reagieren, mein Mädchen. Ich weiß eigentlich, dass es Not tut, sich Dir gegenüber gut aufzustellen, konsequent bei der eigenen Meinung zu bleiben, und Dir mit der gebotenen Ruhe aus Deinen Trotzanfällen herauszuhelfen. Und wenn ich das genau so mache, dann ist das für uns beide eine gute Erfahrung. Aber an Tagen, an denen jede Kleinigkeit Dich aus der Bahn wirft und Du mit hysterischen Kreischanfällen auf noch so kleine Abweichungen von Deinem eigenen Willen reagierst, komme ich regelmäßig an meine Grenzen - vor allem, wenn gerade andere Dinge anstehen, um die ich mich dringend kümmern muss-  und schimpfe irgendwann mit Dir, schreie zurück, bin unfreundlich oder grob. Es tut mir schrecklich leid, dass das so ist, aber siehst Du, Eltern sind auch nur Menschen. Ich denke, Du verstehst das, denn man kann Dir wirklich schon viel erklären, auch, dass Mama gerade Kopfweh hat und Deinen Kreischanfall einfach nicht mehr vertragen hat. "Ich vertrag das niss", hast Du letztens prompt Deine Milla geschimpft, und sie für eine kleine Auszeit auf die Treppe gesetzt, Dir theatralisch den Kopf gehalten und Dich mit einer verbiesterten Miene abgewandt. Nja, der berühmte Spiegel, den Ihr Kinder uns Erwachsenen vorhaltet, war das wohl.

Dass Dein Papa wenig da ist, beschäftigt Dich ebenfalls sehr stark. "Is, weit wech, in Nju Jork - will auch in Nju Jork sein. Da is mein Babybett. Will mein Baaaaabybettttttt...."! Du hast sehr viel zu verarbeiten derzeit, mein Mädchen, und ich versuche, Dir die Dinge so zu erklären, dass Du sie auch verstehst. Das geht aber manchmal noch schief. Als ich Dir letztens zum Beispiel erzählt habe, dass ich traurig bin, weil meine Oma gestorben ist und im Himmel ist, hast Du einen Weinanfall bekommen, weil Du alles sofort auf Deine Oma bezogen hast.

Du wirst gerade mit Siebenmeilenstiefeln groß. Kannst Du Dir nicht ein bisschen mehr Zeit lassen, mein Herz? Wenn Du morgens in mein Bett getapst kommst und so ganz verkuschelt bist, nach Deiner Milch verlangst und mir viele Küsschen auf das Gesicht donnerst, dann erinnere ich mich ganz genau, wie es war, Dich als kleines Baby im Arm gehalten zu haben. Und dann versuche ich auch, den Moment festzuhalten, der unendlich kostbar ist. Ich schnüffele jeden Morgen an Dir, um Reste des Babygeruchs zu erhaschen, der uns Mamas so um den Verstand bringt. (Die Papas übrigens auch. "Das haben die doch absichtlich gemacht, damit man die kleinen Berserker noch lieber hat", stellte der HG mal mit glänzenden Augen fest, als er an seinem Kind herumschnupperte, und, ja, so ist es wohl). Dein Bruder, der roch immer wie Milch-Vanille-Honig-Toast. Und Du, mein Mädchen, Du hast so einen unverkennbaren sagenhaften brombeerigen Duft. Noch ist er da. Und ich würde ihn so unsagbar gerne in ein Fläschchen füllen, um ihn niemals zu verlieren.

Deine Mama