Dienstag, 22. Mai 2012

Freundliche Gesichter

Es wird vielleicht Zeit, auch mal etwas Positives in meine Amerika-Waagschale zu werfen, nachdem ich hier sonst nur über fehlendes Graubrot und mangelhafte Waschmaschinen gemeckert habe.

Die Menschen hier sind ausgesprochen freundlich. Und das gefällt mir ausnehmend gut. Jeder Besucher stellt dieses Phänomen spätestens am zweiten Tag ganz erstaunt fest. Erstaunt kann man darüber auch im ersten Moment sein, denn NY gilt ja als eine Stadt, in der sich keiner um den anderen schert und die Ellenbogen besonders spitz ausgefahren werden. Mag in den Wolkenkratzerbüros auch so zugehen, auf den Straßen aber eher nicht.

Vielleicht ist es aber auch speziell deutsch, verkniesert und genervt guckend durch die Welt zu gehen. Ich weiß es nicht (und ich hab ja sogar noch das Glück, im Rheinland zu wohnen, wo zumindest so eine gewisse Grundfröhlichkeit herrscht - keine Widerrede jetzt!!!). Hier ist es nicht ungewöhnlich, einander Komplimente zu machen. "I like your Shirt", "Uh, how pretty, the colour of your scarf fits your eyes", "your kids are adorable" - habe ich alles heute Morgen auf dem Weg zum/vom Kindergarten schon fröhlich zugerufen bekommen. Die Menschen werfen mir aufmunternde Blicke zu, wenn Töchterchen sich nicht in den Wagen setzen lassen will, sie heben Schnuller und Socken auf und rennen mir damit hinterher, sie scherzen mit meinen Kindern und freuen sich wie verrückt, wenn ich ihnen Türen aufhalte ("You are such a sweety") oder sonstwie aufmerksam bin. Man bedankt sich beim Busfahrer, wenn man aussteigt und der ruft einem dann "you ´re welcome, honey" hinterher, egal, ob man 6 oder 60 Jahre alt ist.

Ich mag das. Denn es hebt einfach auch die eigene Stimmung, auch und gerade an Tagen, an denen man vielleicht unausgeschlafen ist oder sich über irgend einen banalen Blödsinn sorgt. Sobald ich diese Tatsache aber in irgend einem Gespräch erwähne, kommt so sicher wie das Amen in der Kirche folgende Reaktion: "Ja, die Amis sind halt sooo oberflächlich." Knüs mi?

Kann ein ganzes Volk oberflächlich sein? Ist es nicht auch reichlich oberflächlich, so etwas in der Allgemeinheit zu behaupten? Und, ehrlich gesagt: selbst wenn es stimmt, selbst wenn all die freundlichen Menschen, die mir heute begegnet sind, tatsächlich oberflächlich sein sollten: so what? Ich will sie alle ganz gewiss nicht heiraten! Wenn ich die Wahl zwischen einem tiefsinnigen, aber unfreundlichen Busfahrer oder einem Fröhlichen, der vielleicht nie einen Philosophiekurs besucht oder über Weltpolitik sinniert hat, habe, welchen würde ich wohl wählen?

Ja, es gibt sie auch hier, die knurrigen, genervt guckenden Menschen (wenn auch seltener als zu Hause). Gerne auch mal hinter einer Theke. Und dann frage ich mich schon oft, was diese Sonnenscheinchen wohl veranlasst, ausgerechnet im Service zu arbeiten und wer zum Kuckuck die eigentlich eingestellt hat. Aber dann versuche ich den Trick, den ich hier gelernt habe: "I like your Shirt!" (plus aufmunterndes Lächeln) und, oh Wunder, manchmal wirkt es -und das Gegenüber lächelt zurück.

10 Kommentare:

  1. Ach, das mit dem oberflächlich regt mich auch auf. Die Amerikaner SIND im Durchschnitt netter und hilfsbereiter als die Deutschen. It's a fact! Mir ist es auch lieber, jemand ist oberflächlich freundlich als oberflächlich unfreundlich. Von einem Menschen, der mir einen Kaffee verkauft oder in der U-Bahn neben mir steht, erwarte ich keine Tiefgründigkeit beim ersten Wort, das gewechselt wird. Die Deutschen verstehen diese unverbindliche Art der Freundlichkeit nur nicht und denken tatsächlich "der Mann will mich heiraten", wenn einmal jemand freundlich zu ihnen ist. Wenn er das dann nicht will, ist er eben total oberflächlich...

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  2. Ich stimme Dir voll und ganz zu. Die Amis sind definitiv viiieeel freundlicher. Genauso wie z.B. die Australier oder Thais (na, die sind kein Vergleich...die schlucken wahrscheinlich happy pills). Hat man good old germany erstmal für eine längere Zeit den Rücken gekehrt, trifft einen die mürrische deutsche Art mit voller Wucht. Es hat jedenfalls den Anschein als könnte deutsches Servicepersonal partout nicht freundlich sein. Nichtsdestotrotz gibt es hierzulande aber natürlich auch sehr nette, freundliche Menschen. Und auch sehr Oberflächliche. Aber wie definiert sich das? Ich habe jedenfalls lieber etwas oberflächliche freundliche Menschen um mich herum, als "angeblich tiefgründige" Miesepeter. Ansonsten sach ich nur: proud to be a Rheinländer :O)!

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  3. Jaja! Auch ich als Wahlrheinländerin war zunächst irritiert, dass Menschen auf der Straße 'mal eben halten und beim Einparken winken. Und auch ich lass mich von der Metzgersfrau mit einem fröhlichen:"Liebelein, wat darf et sein?" begrüßen, auch wenn sie mich morgen nicht unbedingt wiedererkennt... Bewahr Dir dieses Gefühl! Ein Lächeln oder Kompliment kostet nix und tut jedem gut.

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  4. Oh ja, wie oft habe ich mir das mit der Oberflaechlichkeit schon anhoeren muessen....unglaublich. Vor allem wissen es immer die Leute besser, die max. fuer 2-3 Wochen eine USA-Rundreise gemacht haben.
    Ich habe zu 99% nur positive Erfahrungen gemacht mit der "Oberflaechlichkeit"...mit der Freundlichkeit, wobei ich z.B. die Menschen in SF deutlich "unfreudlicher" empfand als in Suedcalifornien...keine Ahnung wieso.

    Wuensche dir einen sonnigen Tag :-)!

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    1. Oh ja stimmt, in L.A. war das besonders auffällig, da kam ich mir manchmal vor wie in der Truman Show, jeder machte strahl-strahl und winke-winke. Man ist es eben anfangs einfach nicht gewöhnt. Ich find´s trotzdem stimmungsaufhellend!

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  5. Tja, das frage ich mich auch. Tendenzen zum Stubenhocker... Versuchen noch morgen zu überbrücken, da muss er ja nun wirklich nicht kommen (M.s Geburtstag!)... Freitag helfen wir ihm dann auf die Sprünge! Drück die Daumen, dass er sich nicht ausgerechnet morgen bequemt...

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  6. Ja, ich drücke, das wäre wirklich blöde.
    Toi toi toi.

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  7. Also, kleine Episode: Tag zwei nach meinem Rückkehr aus NYC (war mal nur ein Wöchelchen, aber das mit der Freundlichkeit war wieder ebenso alltäglich erfahrbar wie erstaunlich und erfreulich) wurde ich an der Kasse wartend im meiner ostwestfälischen Kleinstadt Zeuge, wie eine höflicher Kunde von der Verkäuferin rund gemacht wurde, weil er etwas umtauschen wollte. Mit Quittung und allem!! Er lies nicht gleich locker (höllenmutig, der Mann!!!!) und die schließlich herbeigerufene Abteilungsleitein erklärte ihm schließlich, dass man sich nicht von Kunden vorschreiben ließe, wie man seine Arbeit zu tun hatte. So!!
    Noch NY verwöhnt mischte ich mich fröhlich deeskalierend ein, machte einen Scherz und warb um Humor und Großzügigkeit... Autsch!

    Ne, ne, da lobe ich mir die freundlichen Verkäuferinnen in NY - und nie käme es mir in den Sinn, ihnen Oberflächlichkeit zu unterstellen - ischwöre!!!! ;-))

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    1. Naja gut, die Ostwestfalen sind eben besonders harte Nüsse. Hab´s schon länger geahnt...

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