Freitag, 1. Februar 2013

Liebe Tochter,

Irgend etwas geht gerade mit Dir vor. "Alles ist nur eine Phase", betet man sich in anstrengenden Zeiten mit den Kindern ja gerne vor, und auch ich mache das derzeit.

Ein Kleinkind bist Du nicht mehr so richtig, und ein "richtiges Kind" noch nicht so ganz. Ich staune oft,  wo die letzten Reste meines Babies abgeblieben sind, wenn Du anfängst, Dinge mit mir zu diskutieren, Dich nicht mehr von einem einmal gefassten Vorhaben ablenken lässt und einfach als -zwar kleine, aber im Wesentlichen "fertige" - Persönlichkeit mit eigenen Standpunkten vor mir sitzt. Wie soll ich Dir erklären, was es in mir auslöst, diesen Wachstumsschritt zu beobachten? Neulich saßen wir mit Deinem Bruder und Deinem Papa auf dem Teppich und spielten das allererste Mal alle zusammen ein Gesellschaftsspiel. Nein, die Regeln konntest Du natürlich noch nicht ganz durchblicken, aber mit Hilfe konntest Du Spielzüge ausführen und teilnehmen. Und da sah ich vor meinem inneren Auge uns vier schon um den Esstisch sitzen und Doppelkopf spielen. Nun ja, das wird noch dauern, aber ich bekam einen Moment lang  so eine flüchtige Ahnung, wie es demnächst sein wird bei uns, in einer Familie mit "großen" Kindern. Das war einerseits ein sehr schönes Gefühl, denn ich freue mich natürlich darauf, andererseits kam auch sofort die Wehmut in mir hoch, dass bald kein Baby und kein richtiges Kleinkind mehr da sein werden. Dass das Gebrauchtwerden ein ganz anderes sein wird. Und irgendwann auch immer weniger.

Widerstreitende Gefühle und Verwirrung toben in Dir noch viel mehr als in mir. Offensichtlich. Abwechselnd willst Du Baby sein und getragen werden - oder Mama sein und Dich um Deine Puppis kümmern. Du möchtest die Windel los werden und in Deinem "Große-Mädchen-Bett" schlafen. Du möchtest Dich verabreden wie Dein Bruder mit seinen Freunden. Am liebsten möchtest Du schon in die Schule gehen, denn in Deiner Schule "lernt man swimmen", hast Du mir letztens erklärt. All diese Große-Mädchen-Pläne locken Dich, und überfordern Dich dann doch wieder. Dein aufbrausendes Temperament bricht momentan permanent und bei den kleinsten Irritationen Bahn. Ich habe leider nicht immer die Nerven, "richtig" darauf zu reagieren, mein Mädchen. Ich weiß eigentlich, dass es Not tut, sich Dir gegenüber gut aufzustellen, konsequent bei der eigenen Meinung zu bleiben, und Dir mit der gebotenen Ruhe aus Deinen Trotzanfällen herauszuhelfen. Und wenn ich das genau so mache, dann ist das für uns beide eine gute Erfahrung. Aber an Tagen, an denen jede Kleinigkeit Dich aus der Bahn wirft und Du mit hysterischen Kreischanfällen auf noch so kleine Abweichungen von Deinem eigenen Willen reagierst, komme ich regelmäßig an meine Grenzen - vor allem, wenn gerade andere Dinge anstehen, um die ich mich dringend kümmern muss-  und schimpfe irgendwann mit Dir, schreie zurück, bin unfreundlich oder grob. Es tut mir schrecklich leid, dass das so ist, aber siehst Du, Eltern sind auch nur Menschen. Ich denke, Du verstehst das, denn man kann Dir wirklich schon viel erklären, auch, dass Mama gerade Kopfweh hat und Deinen Kreischanfall einfach nicht mehr vertragen hat. "Ich vertrag das niss", hast Du letztens prompt Deine Milla geschimpft, und sie für eine kleine Auszeit auf die Treppe gesetzt, Dir theatralisch den Kopf gehalten und Dich mit einer verbiesterten Miene abgewandt. Nja, der berühmte Spiegel, den Ihr Kinder uns Erwachsenen vorhaltet, war das wohl.

Dass Dein Papa wenig da ist, beschäftigt Dich ebenfalls sehr stark. "Is, weit wech, in Nju Jork - will auch in Nju Jork sein. Da is mein Babybett. Will mein Baaaaabybettttttt...."! Du hast sehr viel zu verarbeiten derzeit, mein Mädchen, und ich versuche, Dir die Dinge so zu erklären, dass Du sie auch verstehst. Das geht aber manchmal noch schief. Als ich Dir letztens zum Beispiel erzählt habe, dass ich traurig bin, weil meine Oma gestorben ist und im Himmel ist, hast Du einen Weinanfall bekommen, weil Du alles sofort auf Deine Oma bezogen hast.

Du wirst gerade mit Siebenmeilenstiefeln groß. Kannst Du Dir nicht ein bisschen mehr Zeit lassen, mein Herz? Wenn Du morgens in mein Bett getapst kommst und so ganz verkuschelt bist, nach Deiner Milch verlangst und mir viele Küsschen auf das Gesicht donnerst, dann erinnere ich mich ganz genau, wie es war, Dich als kleines Baby im Arm gehalten zu haben. Und dann versuche ich auch, den Moment festzuhalten, der unendlich kostbar ist. Ich schnüffele jeden Morgen an Dir, um Reste des Babygeruchs zu erhaschen, der uns Mamas so um den Verstand bringt. (Die Papas übrigens auch. "Das haben die doch absichtlich gemacht, damit man die kleinen Berserker noch lieber hat", stellte der HG mal mit glänzenden Augen fest, als er an seinem Kind herumschnupperte, und, ja, so ist es wohl). Dein Bruder, der roch immer wie Milch-Vanille-Honig-Toast. Und Du, mein Mädchen, Du hast so einen unverkennbaren sagenhaften brombeerigen Duft. Noch ist er da. Und ich würde ihn so unsagbar gerne in ein Fläschchen füllen, um ihn niemals zu verlieren.

Deine Mama

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